DER SINN DES LEBENS

GUTE NACHT GESCHICHTE FÜR ERWACHSENE – DER SINN DES LEBENS

In einer ruhigen Kleinstadt lebte ein Mann namens Benjamin. Er war Mitte vierzig, verheiratet und hatte zwei aufgeweckte Kinder. Nach außen hin schien sein Leben perfekt zu sein: Er hatte einen stabilen Job, in dem er sich wohlfühlte, ein gemütliches Zuhause, das er durch eine bezahlbare Summe erworben hatte und ein harmonisches Familienleben mit seiner geliebten Frau und seinen zwei Söhnen. Dennoch plagte Benjamin eine Frage, die ihn seit Jahren nicht losließ: Was war der Sinn des Lebens?

Er verbrachte ungewollt viele Nächte damit, über diese Frage zu grübeln, während er in seinem Bett neben seiner Frau lag und die sanfte Brise des Windes durch das offene Fenster hereinwehte. Seiner Frau hatte er nichts davon erzählt. Obwohl sie ihm stets Mut zugesprochen hatte, wo andere an ihm gezweifelt hatten, verspürte er den Drang diese Frage ganz und gar mit sich selbst auszuhadern. Er hoffte, dass das Universum ihm eine Antwort auf seine Frage geben würde, wenn er nur lang genug lauschen würde.

Eines Nachts, als der Vollmond den Sternenhimmel mit seinem Licht durchflutete, hatte Benjamin einen seltsamen Traum. Er fand sich in einem endlosen Raum voller Bücher wieder. Manche wirkten sehr alt und verstaubt andere wirkten frisch gedruckt. Doch sie alle waren fein säuberlich in Regalen aufgereiht. Benjamin trat an eines der Regale heran und zog ein alt aussehendes Buch heraus. Darin fand er die Erzählungen über das Leben eines Mannes. Auch das zweite Buch das er herausnahm beinhaltete Erinnerungen eines ganzen Lebens. Jedes dieser zahlreichen Bücher schien das gesamte Leben eines Menschen zu erzählen. Er griff nach einem weiteren Buch und begann näher darin zu lesen.

Die Geschichte, die er las, war von einem Abenteurer namens Tristan. Tristan hatte sein Leben damit verbracht, die Welt zu bereisen und nach einem sagenumwobenen Schatz zu suchen, von dem schon sein Vater in seiner Kindheit vergebens gesucht hatte. Wie auch er, durchquerte Tristan trockene Wüsten, erklomm die höchsten Berge und segelte auf dem stürmischen Meer, in der Hoffnung den Schatz zu finden. Und seine Suche wurde belohnt. Viele Male wurde er fündig. Er fand zwar nicht den einen sagenumwobenen Schatz, jedoch sehr wohl kleinere unscheinbare Goldschätze. Doch egal wie viele Truhen mit Gold und Edelsteinen er fand, Tristan fühlte sich nie wirklich bereichert.

Benjamin blätterte weiter in den Büchern und entdeckte die Geschichte eines weiteren Lebens. Diesmal handelte es von der Wissenschaftlerin May. May verbrachte die meiste Zeit ihrer Tage im Labor und suchte nach Antworten auf die tiefsten Fragen des Universums. Sie hatte zahlreiche Entdeckungen gemacht, die viele Menschen wiederum auf neue Errungenschaften brachten. Doch sie hatte nie die Antworten auf die Fragen gefunden, die für sie wirklich von Bedeutung gewesen waren. Die Antworten, die sie fand und die Anerkennung in ihrem Kollegium reichten nicht, um sie zufriedenzustellen. Sie fand keine wahre Erfüllung in ihrer Arbeit.

Der Traum führte Benjamin durch eine Vielzahl von Leben. Er las von Künstlern, die niemals ihr eines perfektes Werk vollendeten, von Politikern, die es nicht schafften die Welt nach ihren Vorstellungen zu formen, ja er las sogar von Lehrern, denen es nicht genlungen war ihre Problemschüler auf den rechten Pfad zu führen. Benjamin las von vielen anderen Menschen, die auf unterschiedliche Weisen ein Ziel im Leben angestrebt hatten und gescheitert waren. Keiner schien die Antwort oder das Ziel zu finden, nach dem er selbst strebte.

Als Benjamin am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich aufgewühlt. Was hatte dieser mysteriöse Traum zu bedeuten? Dass er sein Ziel nie erreichen würde? Aber er hatte nicht einmal eines! Der Traum hatte ihn vor mehr Fragen als Antworten gestellt.

Vielleicht musste er aktiver nach seiner Antwort suchen. Da verspürte er eine ungekannte Entschlossenheit. Er wusste, dass er nach einer Antwort auf seine Frage weitersuchen musste, und er konnte das vielleicht nicht in seiner gewohnten Umgebung tun. Nach vielen Tagen Bedenkzeit beschloss er, eine Auszeit von seinem Job zu nehmen und sich auf eine Reise zu begeben.

Seine Frau, obwohl zunächst skeptisch und nicht gerade begeistert von seinem Vorhaben, unterstützte ihn dennoch in seinem Vorhaben. Sie verstand, dass Benjamin diese Reise brauchte, um inneren Frieden zu finden. So packte Benjamin, wenn auch schweren Herzens seine Sachen und verabschiedete sich mit einer Träne im Auge von seiner Familie.

Er begann seine Reise ins Unbekannte, ohne genau zu wissen, wohin sie ihn führen würde. Er fuhr mit dem Zug in abgelegene Städte des Kontinents, weiter über die Grenze durch Mexico, über Guatemala und Kolumbien bis zu den abgelegenen Wäldern des Amazonas in Brasilien und traf dabei auf Menschen aus verschiedenen Kulturen mit den unterschiedlichsten Lebensweisen.

Während seiner Reise versuchte Benjamin, die Lektionen aus den Geschichten, die er im Traum gelesen hatte, zu verstehen. Er lernte er neue Sprachen und half Menschen in Not. Er hörte ihre Geschichten und teilte mit ihnen ihre Freuden und Leiden. In diesen Momenten fand er ein Gefühl von Erfüllung, das er mit seiner Familie teilen wollte. Seine Sehnsucht nach dem trauten Heim lenkte seinen Blick zurück. Je mehr er von ihnen getrennt war, desto größer wurde das Gefühl in ihm dem Sinn seines Lebens ferner zu sein. Er vermisste das Lachen seiner Kinder, das Lächeln seiner Frau, ja sogar den kläffenden Nachbarshund. Und da kam ihm ein Gedanke. In all den Geschichten aus der Traumbibliothek hatte eines gefehlt. Das gewöhnliche Leben. Der Alltag mit Familie und Freunden. Er erkannte, dass der Sinn des Lebens nicht in Erfolgen, Schätzen oder Anerkennung lag, sondern in der Verbindung zu geliebten Menschen.

Benjamin beschloss in seine Heimat zurückzukehren. Denn er hatte seine Antwort gefunden. Als er seine Familie endlich wieder in die Arme schließen konnte, fand er den Sinn des Lebens nicht mehr in einer abstrakten Vorstellung wieder. Er fand ihn in den funkelnden Augen seiner Kinder, erkannte ihn im Lachen seiner Frau und sah in der Menschlichkeit, die er in der Welt erlebt hatte. Er erzählte seiner Familie begeistert von seinen Abenteuern und was er auf seiner Reise gelernt hatte.

Seine Söhne schauten ihn an und teilten seine Begeisterung. „Papa“, sagte einer seiner Söhne, „hast du nun den Sinn des Lebens gefunden, indem du die Welt bereist und den Menschen geholfen hast?“
Benjamin nickte zustimmend. „Ja, aber vor allem finde ich den Sinn des Lebens, jeden Tag aus neue, indem ich bei euch, unsere Familie bin. Denn der wahre Schatz des Lebens ist nicht da draußen, sondern hier. Man könnte fast sagen: Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst.“

Und so endet die Geschichte von Benjamin, der auf einer Reise um die Welt herausfand, dass der Sinn seines Lebens die ganze Zeit direkt vor ihm gelegen hatte. 

Die Moral von der Geschicht: Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens liegt oft in den einfachen Freuden des Alltags und in den Menschen, die wir lieben. Benjamin hat seine Antwort gefunden und lebte fortan ein erfülltes Leben, wissend, dass die größte Erfüllung in den Herzen seiner liebsten Menschen liegt …

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