FLUCHT ZURÜCK INS LEBEN
KURZGESCHICHTE – Flucht zurück ins Leben
Die Wolken hingen schwer und dunkel über Köln, der Stadt, in der Safiya seit fast einem Jahr lebte. Sie zog ihre dünne Jacke enger um sich und spürte die feuchte Kälte des herbstlichen Morgens, die in ihre Knochen kroch. Der Wind blies ihr den Stoff ihres Hijabs ins Gesicht, während sie den vertrauten Weg von der Bushaltestelle zu ihrer kleinen Wohnung ging.
Über ihrer Schulter hing ihre Stofftasche, deren Henkel sich bereits in ihre Haut gruben. Sie war schwer, prall gefüllt mit Büchern und Heften, deren Texte für sie oft wie ein undurchdringliches Rätsel wirkten. Doch Safiya ließ sich nicht entmutigen. Jeder Schritt war ein Symbol ihrer Entschlossenheit, ein stummer Beweis dafür, dass sie kämpfen würde. Sie war erst siebzehn Jahre alt, doch in ihrer Brust brannte eine Flamme, die stärker war als all die Hindernisse, die sich ihr in den Weg stellten.
Safiya wollte Anwältin für Menschrechte werden. Es war ein Ziel, das für die meisten Menschen mit ihrer Herkunft nur schwer zu erreichen war, doch sie glaubte daran. Es war mehr als ein Wunsch – es war eine Mission. Ein Versprechen an sich selbst und an ihre Eltern. Niemand sollte so leiden wie die Menschen in ihrem Heimatdorf. Kein Kind sollte Mutterseelenallein durch Trümmer laufen und weinend nach seinen Eltern suchen müssen.
Erinnerungen an Libyen
Wann immer ihr Kopf eine Pause hatte von den neuen Eindrücken kehrten ihre Gedanken oft zurück in ihre Heimat. Die Erinnerungen schmerzten wie ein alter, nicht verheilter Schnitt. Die Bilder aus Libyen waren so lebendig, dass sie die sengende Hitze der Sonne auf ihrer Haut spürte und den trockenen, sandigen Geschmack des Staubs auf ihren Lippen schmecken konnte. Sie sah die Straßen ihres Dorfes vor sich, die lebendigen Märkte voller bunter Tücher, das Rufen der Händler, die alten Gebäude mit ihren schattigen Höfen. Die engen Gassen, in denen sie als kleines Mädchen mit ihren Freunden Fangen gespielt hatte, schienen greifbar nahe.
Doch diese Bilder wurden schnell von dunkleren Erinnerungen überlagert – von Explosionen, Schreien und der alles verschlingenden Angst, die wie eine schwere Decke auf jedem Atemzug lag. Das Lachen ihrer Kindheit wurde von dem donnernden Echo der Zerstörung verschlungen, und selbst die hellsten Farben ihrer Erinnerungen verblassten vor dem Grau des Krieges.
Der schlimmste Tag ihres Lebens hatte sich wie Feuer in ihr Gedächtnis gebrannt. Es war ein drückend heißer Nachmittag gewesen, und Safiya hatte mit ihrer Mutter in der kleinen, spärlich eingerichteten Küche gestanden. Der Duft von frisch gebratenem Lammfleisch hatte die Luft erfüllt, und sie hatte ihrer Mutter beim Schneiden von Gemüse geholfen, während ihr Vater draußen am Auto werkelte, dessen Motor mit einem kläglichen Husten immer wieder abstarb.
Plötzlich waren Schüsse zu hören, so laut und nah, dass die Wände zu vibrieren schienen. Das metallische Krachen ließ Safiya erschrecken, sodass das Messer scheppernd zu Boden fiel. Sie hatte noch Zeit, ihre Mutter anzusehen, deren Gesicht mit einem Ausdruck reiner Panik erstarrt war. Dann packte ihre Mutter sie mit einer Kraft, die Safiya nie zuvor gespürt hatte. Sie umfasste Safiyas Gesicht mit beiden Händen, ihre Augen voller Tränen und Entschlossenheit. „Versteck dich. Bleib hier, egal, was du hörst“, flüsterte sie, die Stimme erstickt vor Angst.
Safiya war wie betäubt. Sie kauerte sich unter den Küchentisch, zitternd vor Angst, während die Schüsse immer lauter wurden. Ihr Mutter schlümpfte aus der Küche. Das Dröhnen der Waffen war erbarmungslos, jedes Geräusch schien schneidend und endlos. Safiya hatte ihre Hände über die Ohren gelegt, doch es war, als würde der Lärm direkt durch ihren Körper vibrieren. Jede Sekunde fühlte sich an wie eine Ewigkeit, bis plötzlich alles verstummte. Doch die Stille war nicht beruhigend; sie war schwer, wie eine Vorahnung, die den Atem stocken ließ.
Als Safiya es schließlich wagte, aus ihrem Versteck zu kriechen, stockte ihr der Atem. Die kleine Gasse vor ihrem Haus war von einer unnatürlichen Ruhe erfüllt. Ihre Eltern lagen dort, nebeneinander, ihre Gesichter im Dreck liegend und blut überströmt. Safiyas Beine gaben nach, und sie fiel auf die Knie. Ihre Schreie zerschnitten die Stille, ein Laut von unendlichem Schmerz und Verlust. Sie hatte ihre Mutter gerüttelt, immer wieder, als könnte sie sie aus diesem unerbittlichen Schlaf reißen. Aber nichts – nichts konnte sie zurückbringen. Die Welt, die sie gekannt hatte, war in einem einzigen Augenblick für immer zerstört worden.
Die Flucht
Nach dem Tod ihrer Eltern war Safiya allein gewesen, verloren in einer Welt, die ihr jeden Halt genommen hatte. Ihre Tante Fatima, eine entfernte Verwandte, hatte sie schließlich zu sich geholt. Fatima war eine Frau mit harter Schale, deren Leben von Verlusten und der ständigen Unsicherheit des Krieges geprägt war. Sie hatte keine Zeit für Trost oder Zärtlichkeit, doch sie hatte Safiya mitgenommen, als sie die Flucht aus Libyen angetreten hatte. Nichts hielt sie mehr an diesem Ort, hatte sie gesagt. “ Das gilt auch für dich.“
Die Reise nach Europa war ein Albtraum, der sich wie eine endlose, dunkle Nacht anfühlte. Safiya erinnerte sich an die stickigen, überfüllten Räume der Flüchtlingslager, in denen der Geruch von Angst und Verzweiflung allgegenwärtig war. Menschen aus allen Teilen der Welt drängten sich dort, jeder mit einer eigenen Geschichte von Schmerz und Hoffnung. Sie hatte die langen Stunden in den Lastwagen überstanden, die sie durch unzählige Grenzposten brachten, oft in völliger Dunkelheit, mit gedämpften Atemzügen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Dann war da das Boot. Dieses wackelige, viel zu kleine Gefährt, das sie und Dutzende andere auf das offene Meer hinausführen sollte. Die Nacht der Überfahrt war geprägt von dem ohrenbetäubenden Rauschen der Wellen, die gegen das Holz schlugen, und den leisen, verzweifelten Gebeten der Menschen um sie herum. Kinder klammerten sich an ihre Mütter, während Männer versuchten, Wasser aus dem Boot zu schöpfen, das mit jeder Welle bedrohlich schwankte. Safiya hatte sich auf den Boden des Bootes gekauert, ihre Beine an ihre Brust gezogen, und mit geschlossenen Augen versucht, die Angst zu unterdrücken, die sich wie ein eiserner Griff um ihr Herz legte.
Als sie schließlich deutschen Boden unter ihren Füßen spürte, fühlte Safiya jedoch keine Erleichterung. Der Moment war von einem dumpfen Bewusstsein überschattet: Dies war nicht das Ende ihrer Reise, sondern der Beginn eines neuen Kapitels voller Herausforderungen. Sie blickte auf die fremde Landschaft um sich herum, auf die Menschen, die sie misstrauisch oder gleichgültig betrachteten. Ihre Beine zitterten vor Erschöpfung, doch in ihrem Inneren begann ein Gedanke zu keimen: Wenn sie so weit gekommen war, würde sie auch die nächsten Schritte schaffen.
Neues Zuhause
Die kleine Wohnung, die Fatima in Köln gefunden hatte, war karg und kalt. Zwei Zimmer, eine winzige Küche und ein Badezimmer, deren kahle Wände und abgenutzte Möbel die Entbehrungen ihres Lebens in Deutschland widerspiegelten. Das Fenster im Wohnzimmer ließ nur wenig Licht herein, und die Heizung funktionierte oft nur unzuverlässig. Fatima hatte die Wohnung mühsam gefunden, und trotz aller Unzulänglichkeiten war es zumindest ein Dach über dem Kopf.
Fatima arbeitete in einer Automobilfabrik. Ihre Schichten waren lang, und wenn sie nach Hause kam, war sie erschöpft und hatte kaum Zeit oder Energie, sich um Safiya zu kümmern. Die wenigen Gespräche, die sie führten, beschränkten sich oft auf das Nötigste. Fatima sprach nur gebrochen Deutsch und war selbst frustriert von der Fremde, die sie umgab, von den bürokratischen Hürden und der ständigen Angst vor finanziellen Engpässen.
Safiya fühlte sich in der Wohnung oft wie ein unsichtbarer Geist. Es gab keine Fotos an den Wänden, keine Dekoration, die Wärme oder Geborgenheit ausstrahlte. Es war ein Ort, der funktionierte, aber nicht lebte. Die Tage waren lang und still, unterbrochen nur vom Summen des Kühlschranks oder dem gelegentlichen Knarren der Dielen.
In der Schule fühlte Safiya sich ebenfalls fremd. Sie war die Außenseiterin, das Flüchtlingsmädchen, das kaum ein Wort sprach. Ihre Klassenkameraden warfen ihr Blicke zu, die aus eine Mischung von Neugier, Unverständnis und manchmal auch Geringschätzung bestand. Es war nicht unbedingt böser Wille, aber sie war anders, und dieses Anderssein war wie ein unsichtbarer Schild zwischen ihr und den anderen. Gespräche führten sie selten mit ihr; oft blieben ihre Fragen unbeantwortet oder wurden ignoriert.
Einmal hörte sie, wie zwei Mitschüler tuschelten, während sie den Klassenraum betrat. „Die kann doch sowieso nichts verstehen“, murmelte einer, und der andere lachte leise. Safiya ließ sich nichts anmerken, doch die Worte brannten sich in ihr Gedächtnis. Sie fühlte sich klein, verloren, wie ein Schiff ohne Anker in einem endlosen Meer der Isolation.
Doch trotz der Einsamkeit wusste Safiya, dass sie stark bleiben musste. Jeder Tag war ein Kampf, jede Stunde ein Beweis ihrer Entschlossenheit, nicht aufzugeben. Sie hielt sich an dem Gedanken fest, dass dieser Zustand nicht für immer andauern würde, dass es eine Zukunft gab, in der sie ihren Platz finden würde. Es war dieser Glaube, der sie dazu brachte, weiterzugehen, auch wenn die Last auf ihren Schultern erdrückend war.
Lange Nächte
Nach der Schule zog sich Safiya oft in ihr kleines, schlicht eingerichtetes Zimmer zurück, das sie trotz seiner Kargheit als ihren einzigen Zufluchtsort ansah. Der alte, wackelige Schreibtisch, den Fatima über Ebay besorgt hatte, war inzwischen zu einem Symbol ihres Kampfes geworden. Die Holzoberfläche war mit Kratzern übersät, und der Stuhl knarrte bei jeder Bewegung, doch Safiya verbrachte dort Stunden um Stunden, vertieft in ihre Lehrbücher und Hefte.
Manchmal fühlte es sich an, als ob die Buchstaben auf den Seiten vor ihren Augen tanzten und sie auslachten. Die Worte, die sie zu verstehen versuchte, schienen wie eine unüberwindbare Mauer, die sich vor ihr aufbaute. Sie las denselben Satz wieder und wieder, doch die Bedeutung entglitt ihr immer wieder wie Sand zwischen den Fingern.
Es waren lange Nächte, geprägt von einem inneren Kampf zwischen Verzweiflung und Entschlossenheit. Ihre Stirn lag oft auf ihren Armen, während sie tief ein- und ausatmete, um die Tränen zurückzuhalten, die ihre Sicht trübten. Manchmal fühlte sie sich überwältigt von dem Gewicht der Erwartungen, die sie sich selbst auferlegt hatte. Doch jedes Mal, wenn sie kurz davor war, aufzugeben, schloss sie die Augen und rief sich die Gesichter ihrer Eltern ins Gedächtnis. Sie erinnerte sich an die warme Umarmung ihrer Mutter und den festen, aber sanften Ton ihres Vaters, der ihr einmal gesagt hatte: „Egal, wie schwer es wird, du bist stark genug, um es zu schaffen.“
Dieses Versprechen, das sie sich selbst und ihnen gegeben hatte, war ihr Anker. Sie hatte es nicht nur aus einem Gefühl der Pflicht geschworen, sondern aus tiefstem Herzen. Sie würde ihr Leben zu etwas machen, das einen Unterschied machte. Sie würde eine Stimme für die Gerechtigkeit werden – eine Stimme, die ihren Eltern verwehrt geblieben war.
Trotz der Strapazen fand sie auch kleine Momente der Hoffnung. Wenn sie endlich ein neues Wort verstand oder einen Absatz ohne fremde Hilfe übersetzen konnte, spürte sie einen kurzen, aber intensiven Funken Stolz. Es war dieser Funken, der sie weitermachen ließ, der sie daran erinnerte, dass jeder kleine Schritt ein Fortschritt war. Und so leuchtete die Nacht oft nur vom schwachen Licht ihrer Schreibtischlampe, während Safiya unermüdlich weiterarbeitete, ihre Träume Stück für Stück näher kommend.
Unerwartete Hilfe
Es war ein regnerischer Nachmittag, als Safiya an ihrem Schreibtisch saß und verzweifelt versuchte, den Text in ihrem Schulbuch zu verstehen. Die Wörter verschwammen vor ihren Augen, und sie spürte, wie der Frust in ihr aufstieg. Plötzlich klopfte es an der Tür. Verwundert öffnete sie und fand ihre Nachbarin Frau Kiefer vor sich stehen. Frau Kiefer war eine ältere Dame, die mit ihrem Mann in der Wohnung nebenan lebte. Sie waren pensionierte Lehrer und hatten Safiya von Anfang an freundlich begrüßt. Ab und zu half sie dem Ehepaar die Einkäufe die Treffen hinaufzuschleppen.
„Hallo, Liebes“, sagte Frau Kiefer mit einem warmen Lächeln. „Ich habe gesehen, dass du oft spät in der Nacht an deinem Schreibtisch arbeitest. Ist alles in Ordnung?“
Safiya wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie nickte zögernd, doch die Frau ließ sich davon nicht täuschen. „Pass auf: Ich habe mit meinem Mann gesprochen. Wir würden dir gerne helfen, wenn du möchtest. Wir sind Lehrer gewesen, weißt du, und es würde uns Freude bereiten, dich ein wenig zu unterstützen.“
Safiya war überwältigt. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass jemand ihr solch eine aufrichtige Hilfe anbot. Sie spürte, wie die Tränen in ihre Augen stiegen, und nickte schließlich. „Danke“, flüsterte sie leise.
Von diesem Tag an kamen Herr und Frau Kiefer regelmäßig zu Safiya, oder sie lud sie in ihre Wohnung ein. Sie halfen ihr, die Feinheiten der deutschen Grammatik zu verstehen, und erklärten schwierige Texte mit einer Geduld, die Safiya bewunderte. Es war nicht nur die Hilfe beim Lernen, die sie so wertvoll machte – die Kiefers hörten ihr zu, fragten sie nach ihren Träumen und ermutigten sie, diese zu verfolgen.
„Was möchtest du später einmal werden?“, fragte Herr Kiefer eines Tages, während er ihr half, einen Aufsatz zu schreiben.
Safiya zögerte, doch dann sagte sie mit leiser Stimme: „Ich möchte Anwälting werden und für die Rechte der Menschen in Kriegsgebieten kämpfen.“
Frau Kiefer, die gerade Tee brachte, blieb stehen und sah sie überrascht an. Doch dann lächelte sie. „Das ist ein wunderbares Ziel. Und ich bin sicher, dass du es schaffen kannst.“
Diese Worte gaben Safiya neuen Mut. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, dass jemand an sie glaubte, dass ihr Traum nicht nur ein ferner Wunsch war, sondern etwas, das erreichbar schien. Mit der Unterstützung der Kiefers begann sie, Fortschritte zu machen. Sie erklärten ihr nicht nur den Schulstoff, sondern halfen ihr auch, Bewerbungsschreiben zu formulieren und sich auf Auswahltests vorzubereiten. Sie gaben ihr das Selbstvertrauen, weiterzumachen, selbst wenn es schwierig war.
Die Nachmittage mit den Kiefers wurden für Safiya zu einer festen Routine und zu einem Lichtblick in ihrem Alltag. Ihre Nachbarn wurden für sie zu Mentoren, die nicht nur Wissen, sondern auch Hoffnung und Unterstützung schenkten.
Steiniger Weg
Safiya arbeitete unermüdlich weiter, sowohl in der Schule als auch außerhalb. Sie besuchte regelmäßig den Jugendclub, wo sie nicht nur Anschluss an andere Jugendliche suchte, sondern auch an Workshops über verschiedene Berufswahlmöglichkeiten teilnahm. Einer dieser Workshops sollte ihr Leben verändern. Es war ein sonniger Samstagmorgen, als sie sich in einem kleinen Raum voller gespannter Jugendlicher wiederfand, alle neugierig darauf, was der eingeladene Gast zu erzählen hatte.
Der Gast war ein Anwalt, ein großer, stattlicher Mann mit einem freundlichen Lächeln und einer ruhigen Ausstrahlung. Er erzählte von seinem Alltag, von den Herausforderungen, die der Beruf mit sich brachte, und den erfüllenden Momenten, wenn er Menschen helfen konnte. Safiya hörte aufmerksam zu, ihre Augen weit aufgerissen vor Interesse. Als der Anwalt die Runde eröffnete und nach Fragen fragte, zögerte sie zunächst. Doch schließlich hob sie zögerlich die Hand.
„Was ist das Wichtigste, was man als Anwältin können muss?“, fragte sie leise, ihre Stimme kaum hörbar in dem Raum.
Der Polizist lächelte. „Man muss zuhören können. Und man muss den Mut haben, auch in schwierigen Momenten für andere einzustehen.“
Die Antwort traf Safiya mitten ins Herz. Es war, als hätte er genau die Worte gefunden, die ihre Gedanken schon lange begleiteten. Später, als die Jugendlichen in Kleingruppen Fragen stellen durften, fasste Safiya ihren Mut zusammen und stellte ihre dringendste Frage: „Warum sind Sie Anwalt geworden?“
Der Polizist schaute sie nachdenklich an. „Weil ich an Gerechtigkeit glaube. Und weil ich helfen möchte. Genau deshalb bin ich hier.“
Safiya nickte langsam. Sie spürte, dass sie endlich jemanden gefunden hatte, der ihren Traum verstand. „Ich möchte auch Anwältin werden“, sagte sie schließlich leise, aber bestimmt. „Weil ich weiß, wie es ist, wenn niemand da ist, der hilft.“
Der Anwalt sah sie lange an und nickte dann. „Das ist ein guter Grund. Es wird nicht einfach, aber mit so einer Einstellung kannst du es schaffen.“
Neuanfang
Nach Jahren harter Arbeit und Vorbereitung kam der Tag, auf den Safiya so lange hingearbeitet hatte. Sie hielt den Brief in den Händen, der ihre Annahme an der Juristischen Fakultät bestätigte. Ihre Hände zitterten, als sie ihn öffnete, und als sie die ersten Zeilen las, überflutete sie eine Welle der Erleichterung und des Stolzes.
Der Moment, in dem sie ihre Robe zum ersten Mal anzog, war magisch. Das Schwarz des Stoffes, das Gewicht der Verantwortung – es fühlte sich an, als würde sie nicht nur eine Robe tragen, sondern eine Rüstung, die sie für ihren Kampf für Gerechtigkeit ausrüstete. Sie betrachtete sich im Spiegel, die Tränen standen ihr in den Augen, als sie leise flüsterte: „Ich habe es geschafft. Für euch. Für mich. Für jene die es brauchen.“
Ende
Die in dieser Geschichte vorkommenden Ereignisse sind inspiriert von Safaa und Ihrem Leben nach der Flucht im Jahr 2011 aus Libyen.
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Sehr beeindruckend geschrieben!