SIEBEN JAHRE ANGST

KURZGESCHICHTE ÜBER ANGST – Sieben Jahre Angst

Die schrille Klingel meiner Wohnungstür ließ mich aufschrecken und ich verfiel augenblicklich in eine Schockstarre. Mit einem Satz sprang ich von meinem Sofa und rannte zur Tür. Mit zitternden Händen lehnte ich mich gegen das Holz und schaute durch den Spion. Die Panik, die sich in meinen Gliedern wie ein Blitzschlag ausgebreitet hatte, zog sich langsam zurück und ich stieß erleichtert den Atem aus.

Mit noch immer zitternden Händen entriegelte ich die vier Schlösser meiner Tür, ehe ich Tom, meinem Postboten, die Tür öffnete.
„Hey, Nadine, ich habe hier ein Paket für dich“, begrüßte er mich und hielt mir ein Päckchen hin. Ich nickte und bemühte mich um ein freundliches Lächeln. Mit schweißnassen Händen nahm ich das kleine Paket entgegen, das er mir ausgestreckt hinhielt, und bedankte mich flüsternd.

Er reichte mir sein kleines Gerät, auf dem ich meine Unterschrift in einer schwungvollen Handschrift niederschrieb und trat zurück, um die Tür zu schließen.
„Warte! Sag mal, hättest du … ich meine, würdest du vielleicht mal mit mir einen Kaffee trinken gehen?“, fragte er zögerlich und strich sich dabei die blonden Haare aus dem Gesicht. Er hatte ein hübsches Gesicht, dachte ich und konnte beobachten, wie mein Schweigen ihn verunsicherte.

Aber was sollte ich ihm antworten?
Nein, vielen Dank für deine Einladung, doch ich kann nicht mit dir ausgehen. Ich mag dich, aber ich könnte dich niemals in meine Wohnung lassen, geschweige denn sie selbst verlassen.
Das war vollkommen ausgeschlossen. Er würde mich für verrückt halten, was ich offensichtlich auch war. Aber das sollte niemand wissen. Also schloss ich ohne eine Antwort die Tür und verriegelte wieder die vier Schlösser. Ich konnte hören, wie Tom noch eine ganze Weil vor meiner Tür, vermutlich verblüfft, stehen blieb, denn ich konnte keine Schritte im Treppenhaus hören, das zweifellos jedes Geräusch an den Wänden widerhallen ließ.

Ich wünschte mir, er hätte mir diese Frage vor sieben Jahren gestellt. Denn damals hätte ich ihm vielleicht aus Neugierde eine Abfuhr erteilt, um seine Einladung dann doch anzunehmen, nur um seine Reaktion mit Spannung zu beachten. Diese zwanglose, selbstbewusste Frau war ich jedoch nicht mehr.

Mit einem Blick auf meine Wanduhr bestätigte sich mein Verdacht, dass ich gleich losmusste. Mein Herz, das sich gerade erst beruhigt hatte, schlug erneut ein hohes Tempo an. Allein der Gedanke, meine Wohnung für längere Zeit zu verlassen, verursachte mir jeden Tag einen unangenehmen Druck in meiner Brust. Doch es musste sein. Die warnenden Worte der Sachbearbeiterin donnerten bei dem Gedanken in meinem Kopf.
„Wenn Sie diese Stelle auch verlieren, können wir keine weiteren Zahlungen für Ihre Grundversorgung mehr tätigen.“ Es würde bedeuten, meinen sicheren Hafen endgültig zu verlieren, der keiner war.

In unzähligen Therapiestunden hatte ich gemeinsam mit verschiedensten Therapeuten versucht, den Grund für diese vollkommen widersprüchlichen Gefühle in mir zu finden. Vergeblich. Obwohl ich wusste, dass es keinen logischen Grund gab, dass ich meine Wohnung, nach allem, was passiert war, noch als sicheren Ort ansehen konnte, fühlte ich genau das. Ein schier unlösbares Rätsel meiner eigenen kaputten Psyche.

Ich schnappte mir meinen Generalschlüssel und begann meinen routinierten Rundgang. Dreimal täglich sowie jedes Mal, bevor ich meine Wohnung verließ oder nachdem ich sie wieder betrat, prüfte ich jedes meiner acht Fenster und die vier Zimmertüren. Ich vergewisserte mich, dass alles verschlossen war. Jede Tür wurde von mir verriegelt und auf Spuren wie etwa Kratzer am Lack oder Schäden am Schloss überprüft.

Erst, wenn ich dieses Ritual vollzogen hatte, war ich in der Verfassung, meine Wohnung zu verlassen. Unzählige Male hatte ich versucht nicht alle Räume und Türen zu prüfen, doch ich hatte kläglich versagt. Ein unerträgliches Ziehen und eine lähmende Angst hatten von mir Besitz ergriffen und mich keinen Schritt durch die Tür gehen lassen, ehe ich nicht jeden Winkel sorgfältig meinem prüfenden Blick unterzogen hatte. Ein kräftezehrender Akt, der mich viel Zeit meines Lebens kostete und in den vergangenen Jahren immer wieder dafür gesorgt hatte, dass mir fristlos gekündigt worden war aufgrund meines ständigen Zuspätkommens.

Als ich fertig war, streifte ich mir meine Winterjacke über und nahm meine Tasche vom Sideboard neben meiner Eingangstür. Das Klicken der vier sich öffnenden Schlösser ließ meine Hände schwitzig werden, doch ich nahm all meinen Mut zusammen und verdrängte das Gefühl der erdrückenden Angst. Noch einmal prüfte ich durch den Spion, ob niemand im Treppenhaus war, bevor ich sie langsam aufzog. Die Kühle des Treppenhauses umfing mich, als ich raustrat und die Tür wieder verriegelte. Aus meiner Jackentasche holte ich ein kleines Streichholz hervor, das ich zwischen Tür und Rahmen einklemmte. Erst dann drehte ich mich um und stieg die Treppen hinab. Unten vor den Briefkästen hielt ich inne und suchte nach irgendwelchen Veränderungen. Doch mein Briefkasten war noch immer zugeklebt, wie es sein sollte.

Mit einem mulmigen Gefühl verließ ich das Haus und überquerte die Straße, um auf die andere Seite zu gelangen. Ich folgte dem Verlauf der Straße, bis die Zahnarztpraxis in Sicht kam. Ich drehte mich ein letztes Mal um und starrte zu dem Eingang meines Wohnhauses, das von hier aus noch immer zu überblicken war. Nichts Ungewöhnliches war zu sehen.

Obwohl ich nach der laut tickenden Wanduhr im Wartezimmer wiederholt 15 Minuten zu spät war, sagte meine Kollegin nichts, als ich zu ihr an die Rezeption trat, um mich an meine Arbeit zu machen. Sie war die einzige, der ich von meinen Ängsten in groben Umrissen erzählt hatte. Eigentlich hatte ich das nicht gewollt, doch sie hatte früher bei einem Psychologen in einer Privatpraxis gearbeitet, eher sie eine Umschulung zur Zahntechnischen Assistentin absolviert hatte. Nach meinem ersten Arbeitstag vor etwas mehr als vier Monaten war sie zu mir gekommen und hatte mir ihre Hilfe angeboten.

Ihr Verständnis und Mitgefühl waren jedoch das, was mich am meisten überrascht hatte. Denn ich verstand mich kaum selbst, wie konnte ich es dann von ihr oder anderen Menschen erwarten. Doch sie hatte es vom ersten Augenblick an getan. Wann immer ich eine Panikattacke im Vorratsraum erlitten hatte, war sie für mich eingesprungen und hatte dafür gesorgt, dass ich die Zeit bekam, die ich brauchte, um wieder normal zu wirken. Nie hatte sie nach dem Grund für meine Zwangsstörungen oder der Angstzustände gefragt, die mich einschränkten. Dadurch kam sie der Bedeutung einer Freundin wohl am nächsten, seit ich mich so sehr verändert hatte.

Ich war gut in meinen Job und hatte eigentlich immer Spaß gehabt, bis zu diesem verhängnisvollen Tag. Alles hatte sich über Nacht verändert und ich war nie wieder dieselbe geworden. Dabei war mir nichts Nennenswertes zugestoßen, ganz im Gegensatz zu meiner Nachbarin. Obwohl ich die Erinnerungen zu verdrängen versuchte, brachen sie sich schonungslos einen Weg an die Oberfläche, wann immer ich glaubte, endlich etwas freier atmen zu können.

Zwischen Patienten, die ein und ausgingen, stand ich immer mal wieder von meinem Platz auf und sah aus dem Fenster, um nach meinem Wohnhaus zu sehen. Ich erblickte nie etwas Auffälliges. Trotzdem konnte ich nie die Angst in mir ganz ausblenden, die sich über den Tag in mir anstaute, bis meine Schichte vorbei war und es an der Zeit war, wieder heimzukehren.

Bei meinem kurzen Weg nach Hause kam ich stets an den gleichen fünf Geschäften vorbei, deren Schaufenster mich wie alte Freunde begrüßten. Die Boutique, die ausschließlich Übergroßen führte, ein Frisörsalon, in dem ich immer mal meine Haare schneiden wollte, jedoch nie getan hatte. Der örtliche Supermarkt, von dem ich immer meinen wöchentlichen Einkauf zu mir nach Hause liefern ließ sowie eine Dönerbude, von der ich ab und an etwas bestellte und mein Highlight: das Reisebüro.

Es war das einzige Geschäft, an dessen großflächigen Glasfassaden ich, wann immer ich daran vorbeikam, stehen blieb, um mir die Reiseziele anzusehen. Doch es waren nicht die tropischen Sandstrände oder die archäologischen Weltwunder in Ägypten, die mich anzogen.

Nein, es waren die eindrucksvollen Aufnahmen von Gletschern und schimmerndem Eis in der Antarktis, die mich förmlich zu sich riefen. Es war immer ein Traum von mir gewesen, eines Tages die Falklandinseln und Südgeorgien zu bereisen. Doch dazu war es nie gekommen. Ich hatte immer gedacht, dass ich nach meiner Ausbildung genug Zeit haben würde. Wer hätte gedacht, dass es nicht das Leben war, das einen daran hindern konnte, seine Träume zu verwirklichen, sondern der eigene Verstand?

Sieben Jahre waren vergangen, ohne dass ich je einen Fuß außerhalb meiner Straße gesetzt hatte, in der ich wohnte und arbeitete. Alles, was mein Leben mir bot, war ein Gefängnis, das ich mir selbst erbaut hatte. Mauern, die ich nach und nach, ohne es zu wollen, um mich gescharrt hatte und mich täglich daran erinnerten, was geschehen war.

Sieben Jahre Angst, davor, dass es wieder passieren könnte, lagen hinter mir und weitere würden folgen. Jahre, in denen ich ganz allein mit meiner Angst und Panik bleiben würde. Manchmal stand ich vor der Tür meines Balkons und strecke die Hand nach der Fensterscheibe aus, doch immer, wenn meine Finger die kühle Oberfläche berührten, war es, als würde sie mich versengen. Die Bilder meines Albtraums strömten dann unaufhaltsam auf mich ein und ich konnte nichts tun, außer mich auf den Boden zu kauern und zu warten, dass es vorbei war, genau wie in jener Nacht …

Sieben Jahre zuvor …

Es ist spät geworden, dachte ich, als ich meine Wohnungstür aufschloss und leicht schwankend eintrat. Doch das war es wert. Ich würde niemals je den Anblick meiner besten Freundin auf der Bühne der Bar vergessen, wie sie den Refrain des Liedes „Oops!… i did it again“ von Britney Spears zum Besten gab und damit nicht ihre letzte Nacht mit einem Typen gemeint hatte, sondern die Prüfung, die sie vergangene Woche verhauen hatte.

Plötzlich wurde ich nach vorn gestoßen und jemand warf mich zu Boden. Benommen nahm ich wahr, wie zwei Gestalten über die Türschwelle meiner Wohnung traten und sich Zugang verschafften. Plötzlich war ich hellwach und alle Alarmsirenen in meinem Kopf schrillten los. Hastig wollte ich aufspringen, doch einer der Männer, die maskiert waren, packte mich und legte seine riesige Pranke über meinen Mund, der zu einem Schrei aufgerissen war.

Windend versuchte ich mich aus seinem Griff zu befreien, doch er gab nur ein widerliches Lachen von sich, klebte meinen Mund mit Klebeband zu und verpasste mir einen Schlag in den Magen. Falls er damit gehofft hatte, ich würde ohnmächtig werden, hatte er sich geirrt, doch ich fiel trotzdem zu Boden wie ein nasser Sack und blieb zusammengekrümmt am Boden liegen. Weitere Männer betraten meine Wohnung und lautes Poltern war zu hören, als sie anfingen meine Möbel und Habseligkeiten zu durchwühlen.

Angst schnürte mir die Kehle zu. Ich betete, dass sie sich nehmen würden, was sie haben wollten und verschwanden. Zusammengekauert lag ich am Boden vor der Tür meines Balkons und mir wurde klar, dass ich noch immer meinen Schlüsselbund in der Hand hielt. Wie er bei dem Gedränge mit dem Mann nicht aus meinen Händen gefallen war, war mir unbegreiflich, doch ich begann ganz langsam weiter Richtung Balkon zu kriechen, bis mein Rücken die Vorhänge streifte.

Einer der Männer knurrte entnervt, als er mein Sideboard an der Eingangstür auseinandernahm. Ich wusste nicht, was er sich davon erhoffte, doch ich besaß nichts von Wert in meiner Wohnung. Nichts, das einen Einbruch, geschweige denn einen Raubüberfall hätte rechtfertigen können. In mir stieg die Angst hoch, dass sie wütend werden könnten, wenn ihnen das auch klar wurde. Was würden sie dann mit mir machen?

Aus dem Flur drang ein schriller Schrei, der mir augenblicklich das Blut in meinen Adern gefrieren ließ. Miriam. Sie waren auch bei Miriam! Mein Blick huschte panisch zwischen den fremden Männern hin und her, doch sie beachteten mich gar nicht. Ich musste auf meinen Balkon gelangen, das Klebeband von meinem Mund abreißen und so laut um Hilfe schreien, wie ich nur konnte.

Zitternd wappnete ich mich. Ich holte mit dem Schlüsselbund in meiner Faust weit aus und zerschlug unter lautem Klirren und einem Scherbenregen die gläserne Tür meines Balkons. Mit einem Ruck zog ich das Klebeband von meinem Mund und schrie wie nie zuvor in meinem Leben.

„Hilfe, ich werde überfallen, Hilfe, Polizei!“ Ich wollte noch mehr schreien, mehr kreischen, doch jemand packte mich von hinten und zerrte mich weg von der zerbrochenen Scheibe.
Mit aller Kraft versuchte ich mich zu wehren, als sich einer der maskierten Männer auf mich stürzte. „Halt deine verdammte Schnauze, Schlampe!“, sagte er und zog ein Messer hervor, das selbst in seinen Händen illegal groß wirkte. Ich hörte auf mich zu wehren und konnte nur verängstigt auf die Klinge starren, die der Mann drohend vor mein Gesicht hielt.

Anstatt wie der Mann vor ihm von mir abzulassen, blieb er halb auf mir hockend sitzen. In einer Hand das Messer, die andere Hand an meinem Hals. Sein Gewicht drückte mir sämtliche Luft aus den Lungen und Tränen schossen mir in die Augen.
„Hier ist nichts, es muss die andere sein“, sagte einer. Der Mann auf mir gab ein zustimmendes Brummen von sich, ehe er sich wieder mir zuwandte und mit der Rückseite seiner Waffe ausholte. Ein stechender Schmerz in meinem Kopf explodierte und alles um mich herum wurde Schwarz.

Erst im Krankenwagen kam ich wieder zu mir. Auf der Station hörte ich die Schwestern über zwei Raubüberfälle reden. Eines der Opfer war brutal vergewaltigt worden. Ich schämte mich so sehr für die Erleichterung, die mich durchströmte, als wenig später eine Polizistin mir sagte, dass nicht ich diejenige gewesen war. Doch ich würde nie wieder den Schrei vergessen, den ich aus Miriams Wohnung vernommen hatte.

Noch immer verfolgten mich die Spuren, die diese Nacht hinterlassen hatte. 2555 Tage meines Lebens hatte ich vergeudet, weil die Angst es könnte sich wiederholen. Ich schüttelte den Kopf und mein Blick glitt erneut zu den in der Sonne glitzernden Gletschern auf den Reiseplakaten. Für einen kleinen Augenblick malte ich mir aus, wie es wäre, wenn ich durch die Tür des Reisebüros gehen würde und die Reise planen würde, die ich mir immer erträumt hatte. Ich stellte mir vor, wie ich der nett aussehenden Dame an dem kleinen Bürotisch meine Vorstellungen mitteilen würde. Welche Orte ich auf meinem Weg nach Alaska noch bereisen wollte und wie lange die Überfahrten dauern würden.

Als ich ein Klingeln über mir vernahm, wurde mir erst klar, dass ich einen Schritt ins Geschäft gewagt hatte. Wie erstarrt blickte ich der Frau entgegen. In meiner Vorstellung hatte sie bereits voller Tatendrang alles für mich in die Wege geleitet.
„Wie kann ich ihnen helfen?“, hörte ich sie sagen, während ich noch immer zu verstehen versuchte, wie ich hineingekommen war. Ich hatte nicht einmal mitbekommen, wie ich einen Fuß vor den anderen gesetzt hatte.

„Wenn Sie noch nicht wissen, wo es hingehen soll, kann ich ihnen gern ein paar Eindrücke näher bringen“, bot sie an und schenkte mir ein freundliches Lächeln, das leicht in Schieflache geriet, als ich weiter stumm blieb.

Da packte mich etwas und ich verspürte einen inneren Schubs. Etwas in mir löste sich und ich trat einen weiteren Schritt. Ja, dachte ich. Einen Schritt vor den anderen. Was war, wenn ich meine Ängste mit meinem eigenen Traum in die Flucht schlug? Ich wartete auf die Panik, die unweigerlich in mir aufstieg, doch sie blieb aus. Als ich das Plakat von drinnen betrachtete und mich mir selbst auf dem Gletscher vorstellte, fühlte ich stattdessen ein aufregendes Kitzeln.
„Das wird nicht nötig sein. Ich weiß ganz genau wo ich hin will!“

Sieben Monate später …

Ich atmete die stechende Kälte ein und rieb mir meine Hände, die in gefütterten Handschuhen steckten. Meine Wimpern und Augenbrauen mussten bereits von Eiskristallen überzogen sein, doch all das Eis um mich herum war mir egal. Ich hatte nur Augen für das, was mich umgab. Das kleine Fischerboot bahnte sich einen Weg durch die Eisschollen. Das Knacken von dicken Eismassen war von überall zu hören. Doch gleichzeitig lag eine beruhigende Still in der eiskalten Luft. Als mein Blick endlich uneingeschränkt auf die große Eislandschaft fiel, hielt ich den Atem an. Seit meinem Aufbruch nach Südgeorgien hatte ich von diesem Moment geträumt. Alles um uns herum glitzerte und erstrahlte in reinstem Weiß und Ozean-Blau.

Tom trat neben mich und ergriff meine Hand.
„Du hattest recht, es ist atemberaubend. Ich bin so stolz auf dich!“

„Ja, das ist es!“, flüsterte ich und wusste, ich hatte es geschafft. Sieben Jahre Angst waren endlich vorüber. In befand mich zwar noch am Anfang meiner Genesung, doch ich würde nie wieder zulassen, dass meine Ängste mich an etwas hinderten. Ich wollte Augenblicke wie diese erleben.

Noch immer musste ich meine Fenster, Türen und Schlösser prüfen und kam regelmäßig zu spät zu meiner Arbeit. Noch immer konnte ich Tom nicht in meine Wohnung lassen, aber das machte ihm nichts aus. Unser erstes Date hatte im Treppenhaus stattgefunden mit einer ausgebreiteten Picknickdecke und heißem Tee. Ich hatte einen Weg gefunden, damit zu leben.

Ich nahm mein Handy aus der Jackentasche und öffnete meine Überwachungsapp. Ein kurzer Blick auf die Anzeige sagte mir, dass es keine Ausschläge gegeben hatte. Alles war okay. Ich war okay. Und die sieben Jahre Angst und Einsamkeit gehörten der Vergangenheit an.

Die in dieser Geschichte vorkommenden Ereignisse wurden inspiriert von Nadjas Leben mit einer Zwangsstörung in Kombination mit PTBS.

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