STILL UM UNS

Sternenkind KURZGESCHICHTE – STILL UM UNS

Das unfassbare Glück

Es war pures Glück, als ich zum ersten Mal in das flackernde schwarz weiß Bild des kleinen Bildschirms blickte und ich mit eigenen Augen erkannte, was sich in meiner Mitte niedergelassen hat. Ich fahre mit den Händen behutsam über meinen Bauch, der vollkommen flach ist. In den kommenden Monaten wird er wachsen, so wie das kleine Lebewesen, das in ihm schlummert.

Die Liebe meines Lebens ist auf dem Weg hier her. Ich habe es gewusst. Es gespürt, ganz tief in meinem Inneren. Wir bekommen ein Baby. Bei dem Gedanken macht mein Herz einen seltsamen Hüpfer und ich habe das Gefühl, tausende Schmetterlinge flattern in meiner Brust. Ich kann nicht aufhören zu lächeln, während die Ärztin mir von all den Dingen erzählt, auf die ich in den kommen Monaten zu achten habe. Denn ich bin einfach überglücklich. Als ich aus der Praxis trete, sehe ich ihn auf mich zukommen. Auch er lächelt und breitet die Arme aus. Ich kann nicht an mich halten und laufe strahlend auf ihn zu. Wir werden bald zu dritt sein!

Die Vorfreude

In den ersten drei Monaten kämpfe ich viel mit abendlicher Übelkeit. Seltsam, ich habe immer gedacht, das wäre eher morgens. Der Sommer fängt an und in unserer Dachgeschosswohnung wird mir so warm, das es mir unmöglich ist dort zu schlafen. Mein geliebter Mann weiß mir zu helfen. Er baut mir heimlich eine Kuschelecke im Keller aus einem Dutzend Kissen, einem Minibücherregal, in dem ich stöbern kann, wenn ich nicht schlafen kann und einer Klingel, falls ich ihn brauchen sollte. Ich kann über seine Ideen nur schmunzeln und weiß, dass er ein großartiger Vater sein wird.

Er sorgt sich um mich und das ungeborene Baby und schaut immerzu, dass ich genug zu mir nehme. Er war schon immer sehr fürsorglich, hielt mir die Tür auf, egal wo wir hingingen und schützte mich mit einem Arm beim Nebenherlaufen. Ja, er wird ein fantastischer Vater sein. „Ich liebe dich“, formt er mit seinen Lippe, wann immer wir bei seinen Eltern zu Besuch sind und er gerade unbeobachtet ist. Die ganze Familie freut sich auf dich. Wir geben dir Namen ohne zu wissen welches Geschlecht du haben wirst. Es sind bloß Fantastereien, die uns am Esstisch zum Lachen bringen. Doch überall ist die Vorfreude allgegenwärtig.

Die Zeit vergeht wie im Flug und ich lese viel in der Badewanne. Du liebst es, wenn wir gemeinsam schweben. Dann sind deine Bewegungen am stärksten, als würdest du vor Freude tanzen. Ich singe dann leise vor mich hin und spüre, wie meine Stimme dich umfängt und durch meinen Körper schwingt. Es wird zu einem ganz persönlichen Ritual zwischen uns. Ich streichle stundenlang meinen Bauch, der in der Badewanne bereits über die Wasseroberfläche ragt und spüre deine Bewegungen unter meinen Handflächen. Ich sehne mich nach dem Augenblick, wo ich dich endlich sehen kann und deine kleinen Finger in meine legen kann. Einen Ultraschall später wissen wir, du bist ein Mädchen. Eines mit 10 Fingern und 10 Zehen. Trotzdem kaufe ich nudefarbene Strampler, denn man kann ja nie wissen!

Der Unfall

Nach einem besonders anstrengendem Tag auf der Arbeit nehme ich mir vor wieder ein Bad mit dir zu nehmen. Meine Kleider lasse ich achtlos zu Boden sinken, während das warme Wasser in die Wanne läuft. Ich steige über den Rand der Wanne und die Welt beginnt sich zu drehen. Ich merke erst, dass ich ausgerutscht bis als ich halb auf dem Rand und halb im Wasser zum Halten komme. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und ich habe das Gefühl keine Luft zu bekommen, obwohl ich spüre wie der Sauerstoff meine Lungen füllt. Es ist Angst. Zaghaft richte ich mich auf und taste nach dir. Doch alles ist ganz still. Das Wasser schwappt noch um meine Beine herum, während in mir die Panik wächst. Ich habe ein furchtbares Gefühl. Es ist so stark, dass es mich erzittern lässt.

Doch ich mahne mich zur Ruhe. Alles ist gut. Ich bin nur ausgerutscht. Trotzdem rufe ich deinen Vater. Gemeinsam beschließen wir ins Krankenhaus zu fahren, um ganz sicherzugehen, dass es dir gut geht. Die Fahrt dorthin streiche ich immer wieder neckend über meinen Bauch und summe die Melodie unseres Liedes. Aber du musst schlafen. Denn nichts rührt sich. Im Krankenhaus wissen sie bereits, dass wir kommen. Ich werde auf eine Liege gebeten und eine Ärztin, die ich nicht kenne, untersucht meinen Bauch. Sie legt mir ein CTG an. Ein vertrautes Rauschen erfüllt den Raum.

Das Grauen

Ich kann einen Herzschlag hören, der in dem Augenblick stolpert, als ich ihn höre. Denn es ist mein eigener. Nur meiner. Die Frau in dem Kittel runzelt die Stirn, wendet den Blick von mir ab und sieht zu meinem Mann. Doch ich sehe das Bedauern. Sie versucht es zu verbergen, doch ich sehe es so klar wie ich es spüren kann.
„Das Herz ihres Kindes schlägt nicht mehr. Es ist tot.“ Die Worte sind nicht ganz über ihre Lippen, als sich ein Schluchzen aus meiner Kehle löst. Dein Vater ergreift meine Hand. Stille Tränen laufen über seine Wangen und bilden ein Spiegel zu mir selbst. Ich höre wie die Ärztin davon spricht dich zu gebären und ich nicke. Was folgt, ist hinter einem schwarzen Dunst verhüllt. Ich bin in einem dunklen Loch, aus dem mich nichts holt, bis es vorbei ist. „Wollen sie ihre Tochter sehen?“, fragt die Ärztin, die seit dem unheilvollen Moment nicht von unserer Seite gewichen ist. Dein Vater nickt. Die Tränen sind getrocknet doch die Fassungslosigkeit entfärbt seine sonst so sonnen geküsste Haut.

sternenkind

Ein Stoffbündel aus weißer Baumwolle wird mir in die Arme gelegt. Die Schmetterlinge in meiner Brust erwachen zum Leben. Ich blicke direkt in dein wunderschönes Gesicht. Deine Augen sind geschlossen und es sieht aus, als würdest du schlafen, mit dem Unterschied, dass du nicht atmest. Lähmende Trauer und bezaubernde Bewunderung liefern sich einen stillen Kampf in meinem Inneren. Ich kann dich bloß ansehen und lächeln, wie an jedem Tag als ich das erste Mal von dir erfuhr. Du bist wunderschön. So wunderschön, dass es mein Herz in zwei zu brechen droht.

Ich schiebe die düsteren Gedanken beiseite, die sich wie monströse Klauen um meine Gedanken legen wollen. Dein Vater streicht dir über das braune Haar, das wie ein seidiger Flaum überall auf deinem Kopf gewachsen ist. Ich streiche über deine Finger, den Schwung deiner Lippen. Jedes Detail nehme ich wahr und will das dieser Augenblick niemals endet, denn ich will dich nicht loslassen. Ich kann dich nicht gehen lassen. Doch ich weiß, du bist jetzt ein Sternenkind und strahlst am Nachthimmel. Während all dieser Zeit ist es still um uns.

Ende

Du machst gerade etwas Ähnliches durch oder kennst Betroffenen? Dann findest du beim VEID (Bundesverband für verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V.) Hilfe und Unterstützung bei der Trauerbewältigung. Du bist nicht allein!

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